Zum Muttertag heute etwas Geschlechterspezifisches: Im Brockhaus von 1865 findet sich zur Rolle von Mann und Frau ein Artikel folgenden Inhalts:
Frauen sind Repräsentanten der Sitte, der Liebe, der Scham, des unmittelbaren Gefühl; die Männer hingegen des Gesetzes, der Pflicht, der Ehre und des Gedankens. Die Frau vertritt vorzugsweise das Familienleben, der Mann hauptsächlich das öffentliche und Geschäftsleben. Das Weib empfindet, der Mann erkennt - und zwar das Richtige. Der Mann ist stark im Handeln, Mitteilen und Befruchten, das Weib im Dulden, Empfangen und Gebären. Statt des konsequenten logischen Denkens des Mannes hat das Weib als Ersatz sein instinktartiges und ahnungsvolles Auffassen.
Eine Visualisierung dieser den Geschlechtern zugeschriebenen Rollen finden Sie mal wieder als Fassadengeschichte ganz in der Nähe des Europaplatzes. Ziehen Sie Ihr Fernglas also nach dem Besuch des Moningerhauses (siehe Beiträge vom 23. - 26.4.) und der Postgalerie (siehe Beitrag vom 1.5.) noch einmal aus der Tasche und begeben sich zum Prinz-Max-Palais in der Karlstraße 10.
Heute beherbergt das Gebäude die Kinder- und Jugendbibliothek, das Literaturmuseum sowie derzeit die sehr gute Ausstellung zu den 20er Jahren in Karlsruhe, die jetzt ja wieder zugänglich ist! Bevor Sie die Ausstellung besuchen, werfen Sie aber erst einmal einen Blick nach oben.
Die Gründerzeitvilla, gebaut Anfang der 1880er Jahre von Josef Durm, wurde nicht etwa für Prinz Max gebaut, wie der heutige Name suggerieren könnte (Prinz Max von Baden war nur der zweite Eigentümer), sondern für Herrn August Schmieder, einen ehemaligen Bierbrauer aus Karlsruhe, der mit seiner Brauerei jedoch in Konkurs ging und die Stadt verließ. In Breslau machte er sein Glück, kam vermutlich durch Zinkbergwerke zu Reichtum, gründete eine Bank und kam schließlich nach 30 Jahren wieder nach Karlsruhe zurück. Mit viel Geld in der Tasche und das wollte er auch zeigen! Also ließ er sich eine herrschaftliche Villa, das Palais Schmieder, errichten und an der Fassade ein persönliches Programm in Form von Steinfiguren anbringen, wie man es bisher nur von öffentlichen Gebäuden, Herrscherhäusern oder Kirchen kannte. Sowohl seine eigenen Verdienste und Erfolge wurden gewürdigt, als auch die Tugenden, die einer Frau, die solch einem Hause vorsteht, gut angedeihen.
Fangen wir mit der Dame des Hauses an: Vier Frauenfiguren verkörpern Tugenden, über die eine Frau nach damaliger gesellschaftlicher Auffassung verfügen sollte. Damit keine Missinterpretationen aufkommen konnten, kommentierte je ein Sinnspruch auf einer Tafel über den Frauenfiguren die jeweiligen Gesten und Accessoires. Nur die erste Tafel gleich links vom Haupteingang ist dem Krieg zum Opfer gefallen - die drei anderen Tafeln sind, wenn auch schwer lesbar, noch vorhanden.
Fassade Karlstraße:
Bild 1: Direkt neben dem Eingang die Dame des Hauses als Gastgeberin, die die Gäste mit einer freundlichen Geste willkommen heißt und in der anderen Hand ein Tablett mit einem Weinkrug hält. Der verlorene Sinnspruch dazu lautete: Gastfreundschaft Freunde schafft.
Bild 2: Die Mutter mit einem Kleinkind auf dem Arm, das sich am Zopf der Mutter fest hält.
Der Sinnsprich darüber: Muttertugend erzieht die Jugend
Fassade Akademiestraße:
Bild 1: Die gute Hausfrau mit einem Stück Stoff in den Händen. Der Sinnspruch dazu:
Häuslicher Fleiß erspinnt den Preis. Auch wenn hier natürlich nicht davon auszugehen ist, dass die Dame des Hauses den Haushalt alleine bewältigt, sondern ihn organisiert und das Personal beaufsichtigt hat. Feine Handarbeiten hingegen wurden auch persönlich gefertigt.
Bild 2: Hier ist die Dame des Hauses offensichtlich auf dem Weg zur Kirche, denn sie hält in ihrer linken Hand ein Buch vor der Brust, auf dem ein Kreuz erkennbar ist, also die Bibel oder das Gesangbuch. Das Kleid unter dem Umhang ist nicht wie bei den anderen Darstellungen etwas freizügiger, sondern hoch geschlossen. Zudem werden jegliche Reize vom Umhang verdeckt.
Der passende Spruch lautet: Sittsamkeit schirmt vor Leid.
Zusammengefasst kann man also sagen: Eine tugendhafte Frau sollte eine gute Gastgeberin sein, selbstverständich eine treusorgende Mutter, eine gewissenhafte Hausfrau und ihrem Gatten stets treu ergeben!
Und nun zum Figurenprogramm, das auf den Hausherren zugeschnitten war:
Im Giebel zur Karlstraße trohnt Abundantia, die personifizierte Fülle, sprich der Überfluss, ein Zeichen für den Wohlstand des Hausherren.
Und auf dem Giebel zur Akademiestraße machen es sich zwei weitere Steinfiguren bequem:
Links Merkur (=Hermes) mit dem geflügelten Helm, Götterbote, aber, hier wichtiger, auch Gott der Kaufleute. Stützt er sich wohlmöglich auf einem Geldsack ab?
Rechts die personifizierte Industrie (die interessanterweise immer durch eine Frau verkörpert wird), hier speziell den Bergbau darstellend.
Frage des Tages: Gibt es eine verwandschaftliche Beziehung zwischen August Schmieder und
a) Manfred Schmieder von der Firma FlowTex in Ettlingen?
b) dem Mitinhaber der Waggonfabrik Schmieder & Mayer vor dem Karlstor, nach dem heute noch der Spiel- und Bolzplatz neben dem Goethegymnasium Schmiederplatz genannt wird?
c) keinen der beiden
Und heute als Zugabe noch eine zweite Frage: August Schmieder kam bei seiner vornehmen alteingesessenen Nachbarschaft als Neureicher nicht gut an. Besonders Missmut erregte er durch (Mehrfachnennung möglich): a) das Halten von Hühnern und einem im Morgengrauen krähenden Hahn im Garten der Villa
b) die zahlreichen lautstarken Gesellschaften in seinem Haus und dem daraus resultierenden nächtlichen Kutschenverkehr in der Stephanienstraße
c) den starken Rußausstoß aus dem frisch gemauerten und daher noch feuchten Schornstein
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