„Karlsruhe hat die Welt auf Räder gestellt“ – mit diesem Slogan bewarb die Fächerstadt vor Jahren die Erinnerung an die Erfindungen ihrer großen Söhne Karl Drais und Carl Benz. Damit waren gummibereifte Räder gemeint, wobei Drais seine Laufmaschine ja erst einmal auf wenig komfortablen Holzrädern rollen ließ. Doch auch auf Stahlräder wurden in der Fächerstadt Fahrzeuge gestellt: es handelte sich dabei um Lokomotiven. Der Geschichte des Lokomotivbaus in Karlsruhe wollen wir uns im heutigen Beitrag widmen.
Beginnen wir aus aktuellem Anlass einmal von hinten. Vor genau 90 Jahren, im Mai 1930, veräußerte die Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe ihre gesamten Produktionsanlagen, nachdem alle Bemühungen um eine Rettung der Lokomotivschmiede gescheitert waren und nur noch die Liquidation übrig blieb. Damit wurde der endgültige Schlussstrich unter ein traditionsreiches Gewerbe gezogen, das in seinen besten Zeiten über 1.000 Arbeitern Lohn und Brot gegeben hatte. Der Niedergang setzte jedoch schon im Jahr davor ein, als die letzte von insgesamt 2.370 in Karlsruhe gebauten Lokomotiven die Werkshallen verließ. Grund für diese Entwicklung waren die schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der 20er Jahre, welche den Bedarf an Lokomotiven zurückgehen ließen. Mit der Weltwirtschaftskrise von 1929 kam dann das Ende.
Fabrikgelände der Maschinenbaugesellschaft ab 1904 in Grünwinkel. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe
Ganz so neu war die Erfahrung einer Pleite für die Karlsruher Lokomotivschmiede freilich nicht. Ehe das Unternehmen unter Volldampf auf die Erfolgsschiene des Eisenbahn-Zeitalters einbiegen konnte, musste gleich zweimal neu begonnen werden. Zu dieser Zeit führte mit Emil Keßler ein Pionier des deutschen Lokomotivbaus die Fabrik. Der aus Baden-Baden stammende Ingenieur hatte am Polytechnikum studiert und sich im zarten Alter von 23 Jahren schon selbständig gemacht. Gemeinsam mit seinem Kompagnon Theodor Martiensen übernahm Keßler 1836 die Werkstätte seines akademischen Lehrers Jakob Friedrich Meßmer. Schon fünf Jahre später lieferte die Firma Keßler & Martiensen mit der „Badenia“ die erste Lokomotive an die Großherzoglich Badische Staatsbahn.
Emil Keßler (1813 - 1867) und sein Erstlingswerk, die "Badenia" von 1841. Fotos: wikipedia
Das Erstlingswerk war zeitgenössischen Berichten zufolge von guter Qualität – wenn auch nicht alles davon auf Keßlers Mist gewachsen war, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Der findige Unternehmer hatte sich nämlich die ersten Loks, welche für die Strecke Mannheim – Heidelberg aus England geliefert worden waren, ganz genau angeschaut und diese mit ein paar Verbesserungen einfach nachgebaut. Mit dem Patentrecht sah man es seinerzeit wohl nicht ganz so eng.
Vom Erfolg beflügelt expandierte der inzwischen zum Alleineigentümer aufgestiegene Keßler weiter. Den Standort seiner Fabrik hatte er klug gewählt, denn das Areal südwestlich des Ettlinger Tors, wo heute die Ritter- und Hermann-Billing-Straße sind, grenzte unmittelbar an die Bahnanlagen des ersten Karlsruher Hauptbahnhofs.
Zwei zeitgenössische Ansichten des alten Firmenareals südlich der Kriegsstraße
1846 kam sogar eine zweite Produktionsstätte im württembergischen Esslingen hinzu, doch dann folgte der große Krach. Aufgrund der geringen Eigenkapitalquote geriet Keßlers Fabrik in den Strudel, welcher 1848 durch den Zusammenbruch des Bankhauses Haber hervorgerufen wurde. Keßler musste das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umwandeln und amtierte fortan als Direktor. Auch dieses Modell funktionierte nicht lange, nach einer erneuten Pleite kaufte der badische Staat die Fabrik und gründete 1852 die Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe (MBK). Emil Keßler schied endgültig aus dem Unternehmen aus und widmete sich fortan der Maschinenfabrik Esslingen. Diese einstige Tochter überlebte ihre Karlsruher Mutter um etliche Jahre, erst 1966 endete in Esslingen der Lokomotivbau.
Nach dem Neustart der Aktiengesellschaft dauerte es gut ein Jahrzehnt, bis das Unternehmen Gewinne abwarf. Zu dieser Zeit fanden sich unter der Belegschaft auch einige klangvolle Namen späterer Automobilpioniere: Carl Benz, Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach.
Drei prominente Mitarbeiter der Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe (v.l.n.r.) Carl Benz, Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach
Obwohl die MBK zeitlebens eher zu den kleineren deutschen Lokomotivfabriken zählte, erfolgte 1904 der Umzug auf ein neues Firmenareal in Grünwinkel. Nach dem Ende des Lokomotivbaus wurde dieses Gelände von der Feuerwehrgerätefabrik Metz übernommen. Gleich nebenan siedelte sich übrigens genau zur selben Zeit die Firma Michelin an, was den Bedeutungswandel der Verkehrsträger versinnbildlicht. Die Eisenbahn landete immer mehr auf dem Abstellgleis, während die gummibereifte Konkurrenz erstarkte.
Nichtsdestotrotz kann man aber auch heute noch Produkte der Maschinenbaugesellschaft Karlsruhe live erleben, und das sogar ganz in der Nähe. Die Lokomotive 58 311 der Ulmer Eisenbahnfreunde (UEF) , die im Sommer Dampfzüge ins Alb- und Murgtal zieht, wurde 1921 in Karlsruhe gebaut. Aus dem selben Jahr datiert eine weitere betriebsfähige Maschine, die 75 1118, welche ebenfalls den UEF gehört und auf der Schwäbischen Alb zwischen Amstetten und Gerstetten fährt.
Und wer weiß, vielleicht gelingt es ja doch eines Tages doch noch die legendäre Dampflok "Rhein" aus den Fluten des Stroms zu bergen, wo sie seit 1852 liegt. Das wäre nicht nur die älteste erhaltene Lok aus Karlsruhe, sondern sogar Deutschlands. Aber das ist wieder eine andere Geschichte....
Mit den Loks 58 311 und 75 1118 besitzen die Ulmer Eisenbahnfreunde gleich zwei bis heute betriebsfähig erhaltene Maschinen aus Karlsruher Produktion. Fotos: Daniel Saarbourg (UEF) / Ikar us (wikipedia)
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Die heutige Rätselfrage:
Bei der Deutschen Bahn fahren die Züge auf der Europäischen Normalspur von 1.435 Millimetern Breite. Emil Keßlers "Badenia" hatte dagegen eine andere Spurweite. Welche?
a) 1.668 Millimeter
b) 1.600 Millimeter
c) 1.520 Millimeter
d) 1.067 Millimeter
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